Ethik in der Pflege: Eine Reflektion über Verantwortung, Vulnerabilität und technische Herausforderungen

Pflegefachpersonen stehen in ihrem beruflichen Alltag immer wieder vor komplexen ethischen Fragen. Die Pflege vulnerabler Menschen, sei es durch Krankheit, Alter oder Behinderung, bringt eine besondere Verantwortung mit sich. Dabei ist Ethik nicht nur ein theoretisches Konzept, sondern tief in die tägliche Praxis eingebettet. Doch wie können ethische Prinzipien im Berufsalltag umgesetzt werden? Und wie geht man mit den Herausforderungen um, die durch technologische Innovationen und den steigenden Einsatz von künstlicher Intelligenz entstehen?

Was ist Ethik in der Pflege?

Ethik beschäftigt sich mit dem moralisch richtigen Handeln. In der Pflege ist sie besonders relevant, da Pflegefachpersonen täglich Entscheidungen treffen müssen, die das Wohl von Patient:innen direkt betreffen. Laut Prof. Dr. Martin Schnell, einem Experten auf dem Gebiet der Sozialphilosophie und Ethik, ist Ethik

„immer dann relevant, wenn vulnerable Wesen – Menschen, Tiere oder sogar die Umwelt – miteinander in Kontakt treten und Verletzungen entstehen können.“

Dies bedeutet, dass Pflegefachpersonen stets darauf bedacht sein müssen, den Schutz und die Würde der ihnen anvertrauten Menschen zu wahren. Vulnerabilität, das zentrale Konzept in der ethischen Pflege, beschreibt die Verletzlichkeit von Menschen in bestimmten Lebenslagen. Diese Verletzlichkeit entsteht durch Krankheit, Alter oder psychische Zustände und erfordert von den Pflegefachpersonen ein hohes Maß an Sensibilität. Sie müssen sicherstellen, dass die Würde und Autonomie der Pflegebedürftigen geschützt wird, auch wenn diese möglicherweise nicht mehr vollständig in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen.

Ethik versus Moral: Wo liegt der Unterschied?

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden Ethik und Moral oft synonym verwendet. Doch es gibt Unterschiede. Moral beschreibt die sozialen Regeln und Werte, die in einer Gesellschaft vorherrschen. Ethik hingegen ist die reflektierte Auseinandersetzung mit diesen Werten. In der Pflege bedeutet das, dass Pflegefachpersonen nicht nur moralische Regeln befolgen, sondern diese auch hinterfragen und in schwierigen Situationen abwägen müssen, welche Handlung die moralisch richtige ist.

Ein Beispiel aus der Praxis könnte die Frage sein, wie man mit einem schwer erkrankten Patienten umgeht, der sich weigert, Nahrung aufzunehmen. Die Pflegefachperson steht vor dem Dilemma, ob sie den Wunsch des Patienten respektieren soll oder ob sie eingreifen muss, um sein Leben zu retten. In solchen Fällen bietet die Ethik eine Grundlage für die Entscheidungsfindung, indem sie das Spannungsfeld zwischen Autonomie des Patienten und Fürsorge der Pflege beleuchtet.

„Ethik darf man nicht mit Lebenskunst verwechseln. Es geht nicht nur darum, das Beste für sich herauszuholen, sondern den Schutzbereich für andere zu gewährleisten.“ – Prof. Dr. Martin Schnell

Pflege und die Rolle der Technik: Roboter und künstliche Intelligenz

Mit dem technologischen Fortschritt halten immer mehr technische Hilfsmittel Einzug in die Pflege. Insbesondere in der Altenpflege wird über den Einsatz von Robotern diskutiert, die Aufgaben wie das Bringen von Medikamenten oder die Kommunikation mit Patient:innen übernehmen können. Hier stellt sich die Frage, ob Maschinen in der Lage sind, ethische Prinzipien zu berücksichtigen.

Prof. Schnell wirft in diesem Zusammenhang eine interessante Frage auf: „Kann künstliche Intelligenz moralisch handeln?“ Solange ein Mensch, also ein vulnerables Wesen, in den Interaktionsprozess eingebunden ist, bleibt die Ethik relevant. Doch können Roboter Fürsorge und Empathie bieten, wie es menschliche Pflegefachpersonen tun? Dies ist eine der großen Herausforderungen, denen sich die Pflegeberufe in den kommenden Jahren stellen müssen. Pflegefachpersonen sollten dabei stets kritisch hinterfragen, welche Rolle Technik in ihrem Berufsalltag spielen kann und ob sie tatsächlich den Bedürfnissen der Patient:innen gerecht wird. Während technische Hilfsmittel nützlich sein können, dürfen sie niemals den menschlichen Aspekt der Pflege ersetzen.

Die Bedeutung von Ethik-Foren in der Pflegepraxis

In Situationen, in denen ethische Entscheidungen getroffen werden müssen, ist es oft hilfreich, diese im Team zu besprechen. Ethik-Foren, die in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen eingerichtet werden, bieten Pflegefachpersonen die Möglichkeit, komplexe Fragen im Kollegium zu diskutieren. Diese Foren stellen sicher, dass verschiedene Perspektiven einbezogen werden und eine Entscheidung im besten Interesse der Patientgetroffen wird.

Die Einrichtung solcher Foren zeigt, dass Pflegeeinrichtungen bereit sind, sich ethischen Herausforderungen zu stellen und diese offen zu diskutieren. Dies fördert nicht nur die Qualität der Pflege, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur:innen im Gesundheitssystem.

Pflege und Autonomie: Patientenverfügungen und die Rolle der Pflegefachpersonen

Ein weiteres zentrales Thema in der ethischen Pflegepraxis ist die Wahrung der Autonomie von Patient:innen. In Deutschland gibt es seit 2009 die gesetzliche Möglichkeit, Patientenverfügungen zu erstellen, in denen festgelegt wird, welche medizinischen Maßnahmen im Falle einer Entscheidungsunfähigkeit durchgeführt werden sollen. Diese Verfügungen geben den Pflegefachpersonen klare Anweisungen, wie sie im Sinne der Patienthandeln sollen.

Dennoch ist es nicht immer einfach, den in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen umzusetzen. Pflegefachpersonen müssen in solchen Fällen eng mit den Betreuer:innen und den behandelnden Ärzt:innen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass der Wunsch des Patienten oder der Patientin respektiert wird. Dies erfordert nicht nur rechtliches Wissen, sondern auch ethische Reflexion, insbesondere in Situationen, in denen der Zustand des Patienten sich verändert und die ursprünglichen Wünsche möglicherweise nicht mehr klar sind.

In dieser Podcast-Episode legen wir einen Blick auf Ethik in der Pflegepraxis:

ÜG092 - Ethik in der Pflegepraxis (Dr.in Anna-Henrikje Seidlein & Lisa Graurock-Rosemeier) - Übergabe
Shownotes zur Folge Profil von Dr. rer. med. Anna - Henrikje Seidlein Leitungsteam Ethikkommitee mit Lisa Graurock-Rosemeier Akademie für Ethik in der

Fazit: Ethik als ständiger Begleiter in der Pflege

Ethik ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Pflegepraxis. Pflegefachpersonen müssen tagtäglich schwierige Entscheidungen treffen, die das Leben und die Würde der ihnen anvertrauten Menschen betreffen. Dabei reicht es nicht aus, sich nur auf moralische Regeln zu stützen. Pflegefachpersonen müssen in der Lage sein, ethische Fragestellungen zu reflektieren und in ihrem Handeln umzusetzen. Die fortschreitende Technologisierung in der Pflege, die zunehmende Bedeutung von Patientenverfügungen und die Einrichtung von Ethik-Foren zeigen, dass die Pflegebranche bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Doch auch in Zukunft wird es wichtig sein, die ethischen Prinzipien immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln, um eine menschenwürdige und qualitätsvolle Pflege sicherzustellen.

Allgemeine Shownotes


Franziska, Prof. Dr. M. Schnell und Christian nach der Podcast-Aufnahme
Franziska, Prof. Dr. Martin W. Schnell, Christian (v.l.n.r.)