Die evidenzbasierte Praxisentwicklung gewinnt in der Pflege zunehmend an Bedeutung. Ziel dieser Praxis ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse systematisch in den Pflegealltag zu integrieren, um die Pflegequalität zu verbessern und patient:innenenorientierte Entscheidungen zu fördern. In diesem Artikel wird anhand von Erfahrungen und Projekten am Uniklinikum Münster (UKM) aufgezeigt, wie diese Integration erfolgreich gestaltet werden kann.
Definition und Bedeutung der evidenzbasierten Praxisentwicklung
Evidenzbasierte Praxisentwicklung verbindet externe Evidenz, also wissenschaftliche Forschungsergebnisse, mit interner Evidenz, den praktischen Erfahrungen der Pflegenden, und den Präferenzen der Patient:innen. Diese Verbindung ermöglicht es, pflegerische Entscheidungen fundiert und patient*innenorientiert zu treffen. Laut Nina Kolbe, Leiterin der Stabstelle Pflegewissenschaft am UKM, ist dies nur möglich, wenn Pflegekräfte die Kompetenz besitzen, Forschungsergebnisse zu verstehen, kritisch zu bewerten und in die Praxis umzusetzen.
Herausforderungen bei der Implementierung
Die Umsetzung der evidenzbasierten Praxis stellt Pflegende vor verschiedene Herausforderungen. Ein zentrales Problem ist der Mangel an Zeit und Ressourcen, um sich intensiv mit wissenschaftlicher Literatur auseinanderzusetzen. Zudem sind entsprechende Kompetenzen oft nicht ausreichend in der regulären Ausbildung integriert. Nina Kolbe betont, dass es wichtig ist, Pflegekräfte zu befähigen, Forschungsfragen zu formulieren und zu beantworten. Dies erfordert gezielte Weiterbildung und den Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen.
“Evidenzbasierte Praxis oder auch Praxisentwicklung heißt für mich, dass wir es hinkriegen, wirklich die externe Evidenz, also quasi die Forschungserkenntnisse, die an dritten Personen identifiziert worden sind, diese Erkenntnisse wirklich auch mit in die Entscheidungsfindung, in die Praxis, mit den Patient:innen, in Kombination mit der internen Evidenz, also die Erfahrung der Pflegenden, die Präferenzen der Patient:innen zueinander zu bringen.” - Nina Kolbe
Erfolgreiche Projekte und Praxisbeispiele
Am UKM wurden mehrere Projekte initiiert, die die erfolgreiche Umsetzung der evidenzbasierten Praxisentwicklung demonstrieren. Ein herausragendes Beispiel ist das Projekt zur Mucositis-Prophylaxe in der Onkologie. Hier wurde die Wirksamkeit verschiedener Mundpflegemittel untersucht, um die bestmögliche Prophylaxe für Patient:innen zu gewährleisten. Durch gezielte Forschung und interdisziplinäre Zusammenarbeit konnte ein effektiveres Pflegekonzept entwickelt werden, das den Patient:innen unmittelbar zugutekommt.
Ein weiteres Beispiel ist die Frühmobilisation auf der neurologischen Intensivstation. Pflegekräfte zögerten oft, oral intubierte Patient:innen zu mobilisieren, aus Angst vor möglichen Komplikationen. Durch Schulungen und praktische Übungen wurden diese Ängste abgebaut und die Mobilisationsrate konnte signifikant erhöht werden. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Unsicherheiten durch gezielte Weiterbildung und praktische Erfahrungen zu überwinden.
Strukturelle Voraussetzungen und Empfehlungen
Für die erfolgreiche Implementierung der evidenzbasierten Praxisentwicklung sind strukturelle Veränderungen unerlässlich. Dazu gehört der Zugang zu wissenschaftlichen Datenbanken und die Schaffung von Zeitfenstern für Forschung und Weiterbildung. Zudem sollten evidenzbasierte Aufgaben in die Stellenprofile der Pflegekräfte integriert werden, um die Bedeutung dieser Tätigkeiten zu unterstreichen und Ressourcen gezielt bereitzustellen.
Am UKM wird dies durch die Unterstützung der Pflegedirektion und die enge Zusammenarbeit mit der Universität Münster ermöglicht. Der Zugang zu umfangreichen wissenschaftlichen Ressourcen und die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis sind hierbei zentrale Erfolgsfaktoren.
Zukunftsperspektiven
Trotz der bestehenden Herausforderungen sieht Nina Kolbe positive Entwicklungen in der Integration der evidenzbasierten Praxis. Die zunehmende Akademisierung der Pflege und die Förderung interprofessioneller Zusammenarbeit tragen dazu bei, die Qualität der Pflege kontinuierlich zu verbessern. In Deutschland besteht jedoch noch erheblicher Entwicklungsbedarf, insbesondere in kleineren Krankenhäusern und im ambulanten Bereich.
Die evidenzbasierte Praxisentwicklung bietet zahlreiche Vorteile für Patient:innen und Pflegekräfte gleichermaßen. Durch die systematische Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Pflegepraxis kann die Pflegequalität nachhaltig gesteigert und patient*innenorientierte Entscheidungen fundiert getroffen werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Ansatz in der deutschen Pflege weiter etabliert und die Gesundheitsversorgung insgesamt verbessert.
Fazit
Die evidenzbasierte Praxisentwicklung ist ein zentraler Bestandteil moderner Pflege und bietet zahlreiche Vorteile für die Patient:innenversorgung. Die Erfahrungen und Projekte am UKM zeigen, dass durch gezielte Weiterbildung, interprofessionelle Zusammenarbeit und strukturelle Unterstützung die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Pflegepraxis erfolgreich gestaltet werden kann. Trotz bestehender Herausforderungen bieten die positiven Entwicklungen Anlass zur Hoffnung, dass die evidenzbasierte Praxis in der Pflege in Deutschland weiter an Bedeutung gewinnen wird.
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